Deutschlands Wirtschaft kommt ganz langsam wieder in die Gänge. Teilweise – vor allem in der Gastronomie – immer noch unter starken Einschränkungen, mit existenzbedrohendem Charakter. Die Phase der vorsichtigen Öffnung folgt einer beispiellosen Schließungsorgie. Mitte März hatte die Bundesregierung im Zusammenspiel mit den Landesregierungen den „STOP“ Knopf gedrückt und das gesamte öffentliche Leben lahmgelegt.
Auf der Grundlage verschiedener Verordnungen und Allgemeinverfügungen, die wiederum sämtlich auf § 32 i.V.m. § 28 Infektionsschutzgesetz (InfSG) beruhen, sind Unternehmen zu Schließungen und Einstellungen ihrer Geschäftsbetriebe gezwungen worden. Voraussetzung des § 28 InfSG ist, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden. Interessant im Falle des Corona Virus ist vor allem der Begriff des „Ansteckungsverdächtigen“. Ganz offensichtlich sind die Behörden – stark vereinfacht – davon ausgegangen, dass theoretisch jeder „ansteckungsverdächtig“ ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in 2012 (Az. 3 C 16.11) das Folgende festgestellt:
„Die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. (…). Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil.“
Wir wollen die Erkrankungszahlen nicht verharmlosen und sind im Ergebnis auch dankbar, dass der Verlauf in Deutschland vergleichsweise milde ist. Wir beleuchten ausschließlich die Rechtslage. Die meisten Landkreise in Deutschland haben (insgesamt) zwischen weniger als 100 und mehr als 700 Fälle (der berüchtigte Landkreis Heinsberg) je 100.000,- Einwohner. An dieser Stelle hört die Juristerei auf und die Wahrscheinlichkeitsrechnung beginnt. Bei einer Ansammlung mit 1000 Leuten, wären danach 10 Ansteckungsverdächtige darunter. Bei 100 wäre es weniger als ein Ansteckungsverdächtiger. Ganz anders sehen die Zahlen in einem Landkreis mit (insgesamt) weniger als 100 Fällen pro 100.000 Einwohner aus.
In vielen Fällen wird man konsequent zu dem Ergebnis kommen, dass es in all den Situationen, in denen wenige Leute aufeinandertreffen gerade nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dass sich eine ansteckungsverdächtige Person darunter befindet.
Stellen Sie Sich die kleine Boutique in einem Landkreis mit insgesamt vielleicht 60 Fällen / je 100.000,- Einwohner vor. Eine typische 1:1 Situation: Der Verkäufer mit einem Kunden. Ebenso wahrscheinlich wäre es wohl, dass ein KFZ in den Verkaufsraum rauscht. Genauso geht es allen Dienstleistern, wie Friseuren, Nagelstudios, etc. Immer eine klassische 1:1 Begegnung.
Oder das Autohaus im selben Landkreis. Möglicherweise befinden sich dort insgesamt mehr Kunden, aber es gibt eben auch deutlich mehr Platz. Erneut stehen in der Regel ein Verkäufer und gegebenenfalls zwei Kunden zusammen.
Das Hotel: Klassischerweise überall 1:1 bzw. 1:2 Situationen, sicherlich außer am Frühstücksbuffet (weshalb das auch heute noch sinnvollerweise überwiegend verboten ist).
Noch einmal – es mag sicherlich zunächst richtig gewesen sein, „in Deckung“ zu gehen, aber in vielen Fällen gleichen diese weitreichenden Maßnahmen einem Eingriff mit enteignendem Charakter. Ein solcher enteignungsgleicher Eingriff muss nach rechtsstaatlichen Grundsätzen gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Häufig ist dies nur dann der Fall, wenn der Staat diesen enteignungsgleichen Eingriff finanziell ausgleicht.
Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) unterscheidet als die maßgebende Rechtsgrundlage für alle staatlichen Eingriffe im Zusammenhang mit dem Corona Virus systematisch nach
- Maßnahmen zur Verhütung von übertragbaren Krankheiten (§§ 15a ff. IfSG) und
- Maßnahmen zur Beseitigung von übertragbaren Krankheiten (§§ 24ff. IfSG)
Interessant ist, dass sämtliche Verordnungen und Allgemeinverfügungen auf den Abschnitten §§ 24ff IfSG beruhen, also der Beseitigung von übertragbaren Krankheiten, obwohl die hier geschilderten Probleme mit Ansteckungsverdacht bestehen. Der Grund hierfür mag vielleicht darin liegen, dass die maßgebenden Entschädigungsregelungen bei Verhütungsmaßnahmen (§ 65 IfSG) deutlich weitergehender sind, als die nur sehr punktuell eingreifenden Entschädigungsregelungen des § 56 IfSG. In allen Verhütungsmaßnahmen ist die Rechtsfolge des § 65 simpel: Bei behördlichen Maßnahmen, die das Eigentum oder Vermögen beeinträchtigen, gibt es eine Entschädigung.
ABER: Ist die Schließung der Boutique, des Autohauses, des Friseursalons oder sogar des Hotels, gerade in solchen Landkreisen, die nur in sehr geringem Maße (oder möglicherweise gar nicht) von Corona betroffen waren – tatsächliche eine Maßnahme zur Beseitigung einer übertragbaren Krankheit ? Wohl kaum !
Keiner zweifelt daran, dass enge Aprés-Ski Bars, Fußballstadien und andere Großveranstaltungen, bei denen quasi damit gerechnet werden muss, dass dort sich dort auch (unerkannt) Corona-Infizierte aufhalten, ein hohes Risiko darstellen. Allerdings sind viele Gewerbetreibende aufgrund des inhaltlichen Aufbaus und der konkreten Situation ihres Gewerbes eben hiermit nicht vergleichbar. Wenn diese Gewerbetreibende gezwungen werden, ihren Betrieb einzustellen, ohne dass nachgewiesen werden kann, dass von ihnen eine konkrete Gefahr ausgeht oder es überwiegend wahrscheinlich ist, dass dort „Ansteckungsverdächtige“ verkehren, kann es sich nur um Maßnahmen zur Verhütung der übertragbaren Krankheit handeln. Bei derartigen Maßnahmen sieht § 65 IfSG schlicht und einfach Entschädigungen für die betroffenen Gewerbetreibenden vor.
Fazit: Zweifellos war es richtig, zunächst den „STOP“ Knopf zu drücken. Es hätte jedoch von Anfang an eine kohärente Unterscheidung getroffen werden müssen, welche Maßnahmen der Beseitigung der Krankheit dienen und welche Maßnahmen der Verhütung dienen. Schnell wird man dazu kommen, dass es deutliche regionale Unterschiede gibt und unterschiedliche Geschäftsmodelle. Nur in Landstrichen mit einer hohen Zahl von Infektionen und einem Geschäftsmodell bei dem (wie in einer engen Kneipe oder einer Karnevalsveranstaltung mit mehreren 100 Teilnehmern) viele „Verdächtige“ zusammenkommen, könnte man möglicherweise zu dem Ergebnis kommen, dass es überwiegend wahrscheinlich ist, dass hier Ansteckungsverdächtige verkehren. Von einer Vielzahl von Gewerbetreibenden ging aber zu keinem Zeitpunkt eine konkrete Gefahr aus, die nicht durch die heute geltenden Zugangsbeschränkungen einfach hätte noch weiter entschärft werden können. Die angeordneten Schließungen können daher ausschließlich der Verhütung der weiteren Ausbreitung gedient haben. Möglicherweise haben die staatlichen Organe von Anfang an Respekt (oder gar Angst) vor den bei Verhütungsmaßnahmen zwingend erforderlichen Entschädigungen aus § 65 IfSG gehabt und sich hierdurch bei ihrer Entscheidung leiten lassen. Das mag verständlich sein, ist jedoch in einer Demokratie glücklicherweise gerichtlich nachprüfbar.
Aber Achtung: Auch Gerichte sind bekannt dafür, dass Sie pragmatische Lösungen finden. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte entscheiden, die Anwendung von § 56 IfSG in entsprechender Weise auszuweiten, als festzustellen, dass viele Verfügungen auf der falschen Rechtsgrundlage beruhen und damit zur falschen (Entschädigungs-)Rechtsfolge kommen, denn § 56 IfSG sieht eine Antragstellung auf Entschädigungszahlung innerhalb einer Frist von zwölf Monaten (bis zum 23. Mai waren es sogar nur drei Monate) nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit vor.
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Foto by Corona Borealis Studio/Shutterstock