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Der Bundesgerichtshof hatte im Mai 2019 einen skurrilen Fall zur Geschäftsführerhaftung auf dem Tisch (VI ZR 512/17): Obwohl die GmbH pleite ging, weil der Geschäftsführer in die Kasse gegriffen hatte, steht dem Geschäftspartner für seinen Ausfall kein Schadenersatz gegen den Geschäftsführer zu. Wir berichten nachfolgend über den Fall, welchen Schluss der Geschäftspartner hieraus ziehen kann und welche Folgen dies für den Geschäftsführer hat.
Um was ging es?
Alltagsgeschäft in der Landwirtschaft am Bodensee: Die Klägerin lieferte Weizen an eine Mühle und sie kaufte von dieser Saatgut und Düngemittel. Die Mühle, die als GmbH betrieben wurde, lagerte den Weizen ein und verkaufte ihn zum jeweiligen Tagespreis. Zwischen den Geschäftspartnern bestand eine „Kontokorrent-Abrede“, dass das Differenzguthaben im Folgejahr an die Klägerin ausgezahlt wird. Dazu kam es aber nicht, denn der Geschäftsführer der Mühle hatte mehrere hunderttausend Euros für eigene Zwecke aus der Mühle abgezweigt und stellte einen Insolvenzantrag. Die Insolvenz wurde gar nicht erst eröffnet, weil keine Insolvenzmasse vorhanden war. Die Klägerin ging leer aus. Der Weizen war weg und ein Schaden von über 70.000,- EUR entstanden.
Da die Mühle platt war, verklagte die Klägerin den Geschäftsführer: Er müsse den Vermögensschaden persönlich begleichen, denn durch die Kontokorrentabrede hätte er eine besondere Verpflichtung gegenüber der Klägerin. Durch den Griff in die Kasse verletzt er die Klägerin in – schönes Juristendeutsch – vorsätzlicher sittenwidriger Weise.
Wie wurde entschieden?
Bitte überlege einen Moment: Was wäre gerecht? Wie würdest Du entscheiden?
In der ersten Instanz hatte das Landgericht Konstanz im Jahre 2013 die Klage abgewiesen. Die Klägerin ging daraufhin in Berufung. Das Berufungsgericht, das Oberlandesgericht in Karlsruhe, hatte der Klage im Jahre 2016 überwiegend stattgegeben. Daraufhin ging nun der Beklagte in Revision zum höchsten deutschen Gericht, dem Bundesgerichtshof: Dieser kassierte im Jahre 2019 das Berufungsurteil und wies die Klage ab. Dies ist auch ein gutes Beispiel für den Weg und die Dauer durch die Instanzen der deutschen Gerichte.
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Was sind die Gründe? Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
Es ist ja eine Eigenart der Juristen, aus normalen Worten einen Begriff zu definieren, der verschiedene Merkmale in sich trägt und hieraus abzuleiten, ob der entsprechende Begriff erfüllt ist oder nicht. In diesem Urteil geht es um die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, die – im Bürgerlichen Gesetzbuch BGB niedergelegt – einen Anspruch auf Schadenersatz begründet.
Hier nun die Stilblüte, anhand derer der BGH den Fall gemessen und entschieden hat (Randnummer 8 des Urteils):
„Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden (ob damit die Juristen gemeint sind?) verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss die besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Bei mittelbaren Schädigungen kommt es darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche geltend macht.“
Geschäftsführer schuldet der GmbH Treue, nicht den Vertragspartnern der GmbH
Der Geschäftsführer hat die Pflicht, die Geschäfte ordnungsgemäß zu führen, und dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft sich rechtmäßig verhält und ihren Verpflichtungen nachkommt. Aber diese Verpflichtung des Geschäftsführers besteht grundsätzlich nicht gegenüber Dritten, sondern nur gegenüber den Gesellschaftern der Mühlen-GmbH. Die Verpflichtung, nicht in die Kasse zu greifen, besteht also nur gegenüber der GmbH. Eigentlich logisch.
Die Nichtzahlung der Forderung der Klägerin durch die Mühlen-GmbH ist zwar eine Pflichtverletzung. Diese Verpflichtung besteht jedoch nur seitens des Vertragspartners der Klägerin, der Mühlen GmbH. Der Geschäftsführer ist nicht Vertragspartner der Klägerin, er vertritt die Mühlen-GmbH. Also erwachsen aus vertraglichen Beziehungen nur den Vertragspartnern Pflichten.
Kontokorrentabrede begründet keine besondere Treuepflicht
Die Kontokorrentabrede ist nun eine „übliche“ vertragliche Verpflichtung der GmbH und kann daher keine besondere Treuepflicht des Geschäftsführers auslösen. Dann hätte er sich persönlich für die Kontokorrentabrede verwenden müssen. Mangels eigener Verpflichtung gegenüber der Klägerin kann der Geschäftsführer diese nicht bestehende Verpflichtung auch nicht in einer „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ Weise verletzt haben.
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Was bedeutet dies für einen Geschäftsführer?
Wenn Du Geschäftsführer bist, bedeutet das Urteil für Dich:
- Die Geschäftsführerhaftung für Verbindlichkeiten der GmbH ist und bleibt eine Ausnahme, was auch sinnvoll ist.
- Besondere Zusicherungen sollten restriktiv und mit spitzen Fingern „angefasst“ werden.
- „In die Kasse greifen“ war noch nie eine gute Idee: Die Haftung besteht gegenüber dem Insolvenzverwalter, der diese sicherlich auch geltend macht.
- Wer für andere handelt kann eine mögliche Inanspruchnahme durch Dritte mit einer D&O-(Directors & Officers) – Versicherung abwehren. Diese sind mittlerweile üblich, bezahlbar und geltend für alle Handelnden eines Unternehmens
Bei weitergehenden Fragen rund um die Geschäftsführerhaftung oder Gestaltungsfragen kannst Du uns gerne kontaktieren!
Was bedeutet dies für Marktpartner?
Wenn Du mit GmbHs Geschäfte machst, bedeutet das Urteil für Dich:
- Immer dann, wenn Du in Vorkasse trittst bzw. wenn sich eigene Werte bei Dritten befinden, solltest Du möglichst versuchen, diese direkt abzusichern. Hier bietet sich einerseits ein sog. verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt an: Wenn Deine Waren verarbeitet werden, erhältst Du ein Sicherungsrecht an den verarbeiteten Waren.
- Am besten werden eigene Gelder sofort ausgezahlt. Wenn dies nicht geht, und Gelder bei Dritten geparkt sind, sollten diese möglichst auf ein eigenes Treuhandkonto eingezahlt werden, oder aber mit einer persönlichen Bürgschaft des Geschäftsführers versehen sein.
- Dies lässt sich gut durch Klauseln in den Vereinbarungen oder durch allgemeine Geschäftsbedingungen vereinbaren.
Bei weitergehenden Fragen im Schadensfall oder zur Vertragsgestaltung kannst Du uns gerne kontaktieren!